Warum Unschooling?

Auf die Frage "Warum Unschooling?" kann es, glaube ich, immer nur sehr persönliche Antworten geben. Denn die Beweggründe, sich für alternative Lebens- und Bildungsformen zu entscheiden, sind so zahlreich wie individuell.

In meinem Fall (als Mutter war ich wie in vielen Familien die treibende Kraft) bin ich dem Thema Freilernen interessanterweise bereits vor vielen Jahren - eher beiläufig - begegnet, ohne jedoch seine gedankliche Sprengkraft zu begreifen. Kein Wunder: ich war damals unverheiratet und kinderlos. Doch eine innere Unruhe, ein namenloses Irritiert- und Anderssein, ein Nichtverstehen und ein großes Unbehagen trieben mich bereits damals um.

Die erste Begegnung hatte ich bereits 1997 während der Recherchen für meine Diplomarbeit, wo ich in einem französischen Buch auf die Beschreibung eines Mädchens stieß, das völlig aus freiem Antrieb lesen und schreiben lernte.

Die zweite Begegnung war weniger positiv, da ich von der Möglichkeit, in England zu Hause zu lernen, in einem ziemlich unappetitlichen Buch las.

Die dritte Begegnung geschah vor drei Jahren und hatte die Wirkung einer Atomexplosion - sie legte innerhalb von Sekunden mein altes Weltbild in Trümmer.

Doch rückwirkend betrachtet, war die Entscheidung für ein Leben ohne Schule die logische Konsequenz aus einer jahrelangen Entwicklung, in der ich mich mit zahlreichen Autoren, pädagogischen Ideen und Therapieansätzen beschäftigte, darunter maßgeblich Alice Miller, Emmi Pikler und Fritz Perls.

Blicke ich heute zurück, so glaube ich, dass Freilernen auch für mich persönlich die ideale Lernform gewesen wäre bzw. noch ist.

"Aha, haben wir Dich!" werden jetzt einige schreien und mit dem Finger auf mich zeigen. "Du machst es also nur deinetwegen und nicht um deiner Kinder willen!"

Nun, kann ich darauf nur erwidern: Sollte man auch weiterhin seine Kinder mit Schlägen züchtigen, selbst wenn man dank eigener Erfahrung erkannt hat, dass es falsch ist?

Uns Unschoolern wird häufig vorgeworfen, wir würden derart drastische Entscheidungen über die Köpfe unserer Kinder hinweg treffen und ihnen überstülpen, sie zu Sonderlingen machen, ihre Zukunft verspielen.

Zum einen lässt sich sagen: Nein, es war genau anders herum. Es wäre in gewisser Weise angenehmer gewesen, mein Ältester hätte "funktioniert" und mich nicht ans Nachdenken gebracht.

Doch auch die Geschichten befreundeter Familien zeigen, dass die Erneuerung, die Impulse, das Nicht-Mitmachen, das Autonom-Sein, das Freilernen-Wollen in den allermeisten Fällen von den Kindern ausgeht. Wir Eltern sind die, die auf diese Impulse reagieren. Positiv oder negativ.

Zum anderen: Wer die Freiheit hat zu wählen, kann sich sowohl für als auch gegen Schule entscheiden. Das gilt auch für unsere Kinder. Und wer seinen eigenen Weg wählt, ist kein Sonderling, sondern ein selbstverantwortlicher Mensch. Und wer - um mit Hüther zu sprechen - begeistert und erfüllt ist von dem, was er tut, kann Erfolg nicht vermeiden.

Wir vertrauen auf das Wachstumspotenzial, die Lebensfreude, Kraft, Neugier und vor allem die innere Weisheit unserer Kinder. Das gelingt uns meistens gut, manchmal weniger gut.

Wir glauben, dass (Schul-)zwang die Lernfreude und Lebendigkeit, ja mehr noch, die Integrität der Kinder, zerstört und durch Gehorsam, freudlose Anpassung, Resignation und Selbstentfremdung ersetzt.

Wir glauben, dass die Welt des 21. Jahrhunderts dringender denn je kreative, frei denkende, angstfreie und autonome, liebe- und respektvolle Menschen braucht, um die unglaublichen Aufgaben in ihrer Vielschichtigkeit zu begreifen und konstruktiv zu lösen.

Wir sind dankbar für die unbestreitbaren, historischen Verdienste der Schulpflicht, auf deren "Schultern" wir heute stehen können. Und wir sind gleichzeitig zutiefst überzeugt, dass sie sich geschichtlich überlebt hat und etwas Neues an ihre Stelle treten wird.

In diesem Sinne ist auch Unschooling nie ein fertiger Zustand oder eine endgültige Entscheidung, auch nicht für uns Eltern. Eher im Gegenteil: so viel Zeit mit unseren Kindern zu verbringen, ist schön und schwierig zugleich. Sie fordern uns täglich, uns zu bewegen, zu erweitern, zu hinterfragen und kennenzulernen.

Das ist nicht immer angenehm. Aber ich bin überzeugt: es lohnt sich. So soll dieser Blog allen, die mögen, ein paar Einblicke in unseren Alltag gewähren.